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Was will die Gesundheits-Mitbestimmungs-Initiative?

Das Gesundheitswesen ist ein dauerhaftes Problemfeld. Nun taucht eine neue Volksinitiative am Horizont auf. Die sogenannte Gesundheit-Mitbestimmungs-Initiative (sic!) birgt interessante Ideen und Sprengstoff gleichzeitig. Über die Absichten der Absender muss man sich erst noch klar werden.

Houston, wir haben ein Problem

Unser Gesundheitswesen und insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung gemäss KVG haben ganz offensichtliche Probleme. Die Kosten steigen fortwährend. Aufwändige Reparaturarbeiten am Patienten lohnen sich viel mehr als die Verhütung oder Heilung von Krankheit. In die Spitzenmedizin fliesst immer mehr Geld, während in der Grundversorgung gespart wird.

 

Der Ärztestand hat im Wesentlichen die Kontrolle über die Finanzflüsse und kann so andere Berufsgruppen ausschliessen. Und es gibt eine grosse Asymmetrie zwischen dem, was Probleme sind und dem, was als Problem wahrgenommen wird.  Die staatliche Regulierung bemüht sich um Kostenkontrolle und verkompliziert dabei sehr häufig Behandlungsprozesse, was wieder Zusatzkosten generiert. 

 

Der Bund, die Kantone, die Leistungserbringer, die Krankenkassen und die Versicherten verfolgen alle eigene Ziele, während der Sinn des Ganzen, nämlich eine möglichst effiziente Behandlung von Patienten, irgendwo im Hintergrund wabert. Das weckt durchaus den Wunsch, das ganze System von Grund auf neu aufzubauen.

Der Initiativtext

Der Text der Gesundheit-Mitbestimmungs-Initiative lautet wie folgt:

 

Art. 117 Abs. 2

Der Bund akzeptiert verschiedene Versicherungsmodelle, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen. Jeder Mensch hat das Recht, Art und Umfang der Versicherung frei zu bestimmen.

 

Der Text ist extrem offen. Verglichen mit heute würden sich aber folgende Dinge sicherlich ändern:

  • Verglichen mit dem strikten Rahmen des KVG würde explizit eine grössere Vielfalt an Versicherungs-modellen zugelassen. Diese würden sich zum Beispiel nach verschiedenen Leistungserbringern, Therapierichtungen und mehr Prävention richten. Sicher wären auch mehr Managed Care-Modelle im eigentlichen Sinne möglich.
  • Wenn jeder Mensch den Umfang frei bestimmen könnte, könnte dies auch KEINE Versicherung heissen. Dies entspräche der Aufhebung des Versicherungsobligatoriums. 
  • Offen bleibt, inwiefern die Krankenversicherung noch gesetzlich verankert ist. Je weniger gesetzlich vorgegeben ist, desto grösser die Freiheit bzw. die Macht der Versicherer. 

Chancen

Die Vorschriften des heutigen KVG sind sehr eng. Versicherungsmodelle, die nicht nur den Arztberuf berück-sichtigen, sind heute praktisch extrem schwierig zu realisieren. Die Prävention ist keine Aufgabe der Kranken-kassen, obwohl sie kostensparend wäre. Was bezahlt wird und was nicht, ist zum Teil sehr willkürlich festgelegt und wird in erster Linie von den Beamten des Bundesamts für Gesundheit bestimmt. 

 

Mehr Freiheit in Bezug auf die Versicherungsmodelle würde mehr Innovation und Flexibilität erlauben - dies lässt auch auf bessere Outcomes hoffen. Auch der Einbezug verschiedener Berufsgruppen könnte die Qualität ent-scheidend beleben und verbessern. 

 

Nicht zuletzt würden sich Menschen mehr Gedanken über ihren eigenen Gesundheitsbedarf machen. Sich bewusst für oder gegen bestimmte Arten von Therapie zu entscheiden, könnte zum Beispiel wertvoll für eine sinnvolle Medizin am Lebensende sein und würde Patienten zu aktiveren Teilnehmern am Gesundheitswesen machen. 

Die Risiken

Selbstbestimmung ist schön und gut. Doch die Verführung ist sehr gross, überhaupt keine Versicherung abzuschliessen. Menschen würden damit wieder in die Situation geraten, dass sie Behandlungen nicht in Anspruch nehmen können, weil sie nicht finanzierbar sind. 

 

Der Präventionsgedanke ist grundsätzlich positiv. Aber jeder, der im Gesundheitswesen tätig ist, weiss, dass dennoch viele Menschen dazu neigen, sich fahrlässig zu verhalten und sich erst dann Gedanken über ihre Gesundheit machen, wenn bereits ein Schaden entstanden ist. Darum ist auch unklar, wie "gut" Menschen ihr Versicherungsmodell aussuchen werden. Wer sich heute gegen eine Versicherung für teure Krebsmedizin entscheidet, wünscht sich dann wahrscheinlich doch eine solche Therapie, wenn er plötzlich in diese Situation kommt. 

 

Auch das Ausmass der Regulierung wird das Verhalten der Versicherungen bestimmen. Mehr Freiheit könnte auch heissen, dass Krankenkassen, wie schon heute bei den Zusatzversicherungen, riskante Patienten ohne Angaben von Gründen ablehnen können. Dies könnte zu einer Gruppe von "Unversicherbaren" und damit zu einer klaren Zwei-Klassen-Medizin führen (die allerdings zum Teil schon heute besteht).

Was sind die Ziele der Initianten?

Blickt man auf das Initiativkomitee, fallen zwei Mitglieder prominent auf: Yvette Estermann, Ärztin und Nationalrätin SVP, und Daniel Trappitsch, Heilpraktiker und erklärter Impfgegner. Statements der anderen Vertreter sprechen von einem starken Wunsch nach einem Wandel im Vergleich zum heutigen Gesundheitswesen, das stark von Partikularinteressen, aber wenig von Patientenzentrierung geprägt ist. 

 

Es ist gut möglich, dass die anti-etatistische Einstellung ganz einfach auf die Beseitigung des Versicherungs-obligatoriums abzielt. Wahrscheinlich geht es auch darum, die Rolle der komplementärmedizinischen Therapeuten zu erhöhen, die heute nur über spezielle Zusatzversicherungen bezahlt werden. Wie man in Debatten über Homöopathie oder Impfen sieht, nimmt die Komplementärmedizin manchmal aber auch anti-wissenschaftliche Positionen ein und verlangt dafür eine gleichbereichtigte gesellschaftliche Stellung. Zudem werden gewisse Akteure wie die Pharma-Industrie auch eher als Feindbild aufgeführt.

 

Teils fliessen sehr romantisierte oder esoterische Ideen von Gesundheit ein, die so nicht unbedingt dem heutigen Wissensstand entsprechen. Insofern wird sich die Frage stellen, ob man von den Initianten auch sachliche Diskussionen erwarten darf, wenn über konkrete Inhalte diskutiert wird. 

Diskutieren tut nicht weh

Obschon die Ziele der Initianten nicht ganz klar scheinen und der Initiativtext sehr brisante Seiten hat, bietet die Gesundheit-Mitbestimmungs-Initiative einen neuen Impuls, um grundlegend über das Gesundheitswesen zu diskutieren. 

 

Zwar gibt es vom Bundesrat aus Willensbekundungen, mit dem sogenannten "Experimentier-Artikel" im KVG mehr neuartige Modelle erproben zu wollen. Jedoch gibt es schon heute Anzeichen, dass Innovation mit allzu viel Bürokratie erschwert oder ganz verhindert wird. 

 

Aus diesem Grund könnte diese Initiative von aussen neue Ideen hervorbringen, die ohne Initiative nie diskutiert worden wären. Darum habe ich mich dafür entschieden, die Initiative zu unterschreiben. Es braucht aus meiner Sicht mehr Druck auf den Bund, um die Krankenversicherung im Sinne des Erfinders zu reformieren.   

 

Homepage der Initiative: https://gesundheitmitbestimmen.ch