Die Volksinitiative für ein Verbot von Menschen- und Tierversuchen ist gut gemeint. Aber sie ist ein radikales Nein zu Fortschritt in der Medizin, Biologie und Psychologie. Und sie macht unsere Gesellschaft wehrlos gegen riskante Produkte und Technologien. Weshalb das so ist, steht in meinem Artikel.

Ja, Tierversuche sind schlimm
Wer Tierversuch hört, denkt an Tierquälerei. Berüchtigte Forschungen wie zum Beispiel diejenigen von Albrecht von Haller im 18. Jahrhundert wie auch Praktiken bis ins 20. Jahrhundert hinein zeugen vor wenig Respekt vor dem Tier. Ohne jeden Gedanken an das Tierwohl hat man Tiere gemartert.
Diesbezüglich kann man sagen, dass in den letzten 50 Jahren sehr grosse Fortschritte gemacht wurden. Gemessen am jeweiligen Erkenntnisgewinn werden heute bedeutend weniger Tiere geopfert als früher. Doch auch heute gibt es eine Reihe von Versuchen mit Tieren, die letztlich viel Leid erzeugen.
Zum Beispiel kann man für Forschungszwecke Mäuse mit allen möglichen Eigenschaften aus dem Katalog bestelle. Mäuse mit Krebs, Mäuse mit Diabetes, Mäuse mit einer transparenten Scheibe im Schädel. Zweifellos ist dies sehr leidvoll für die Tiere.
Tierversuche sind ein Dilemma, das sich nie auflösen lassen wird. Wir als Spezies Mensch machen Gebrauch von Tieren, um unseren Forschungsdrang zu befriedigen und unser eigenes Leben zu verbessern. Das ist eine Tatsache.
Ich persönlich habe daher auch einen ziemlich grossen Respekt vor Forschern, die Tierver-suche durchführen. Dieses Video mit drei jungen Forscherinnen und Forschern zeigt zum Beispiel sehr eindrücklich, was solche Arbeit bedeutet und dass sie nicht aus Spass gemacht wird.
Nicht ersetzbar
Sehr häufig wird ins Feld geführt, dass sich Ergebnisse von Tierversuchen nicht auf Menschen übertragen lassen. Das stimmt. Daher dürfen solche Versuche zum Beispiel im Medikamentenbereich durchaus auch hinterfragt werden.
Nichtsdestotrotz sind manche Tiere uns ähnlich genug, um biologische Zusammenhänge zu untersuchen. Ohne Versuche an Meerschweinchen hätte man wohl kaum Nervensystem des Darms entdecken und erforschen können, wie man im Buch "The Second Brain" des Forschers Michael Gershon nachlesen kann.
Auch im toxikologischen und pharmakologischen Bereich ist die Wirkung auf einen Organismus als solchen eine wichtige Erkenntnis, selbst wenn sie eben nicht 100% auf Menschen übertragbar ist.
Auch wenn wir Tierversuche zunehmend mit Modellen aus Zellkulturen oder digitalen Simulationen ersetzen können, basieren auch diese oft auf Erkenntnissen aus Tierversuchen und können nur eine grobe Aussage gegenüber einem realen Organismus geben.
Man sollte nicht vergessen, dass Tierversuche auch der Veterinärmedizin zugute kommen. Viele Humanarzneimittel werden auch für Tiere eingesetzt - eben weil man sie an Tieren getestet hat.
Und Menschenversuche?
Noch mehr als das Verbot von Tierversuche lehne ich das geforderte Verbot von Menschenversuchen ab. Man muss sich hier bewusst sein, dass nicht nur Tests von Medikamenten oder als Menschenversuch gelten. Auch solche Dinge wie Beratungen, psychologische Experimente oder sportwissenschaftliche Studien fallen unter das Humanforschungsgesetz und müssen von einer kantonalen Ethikkommission bewilligt werden.
Wenn man also zum Beispiel erforschen möchte, ob Smartphones die Konzentration beeinträchtigen oder die 5G-Technologie die Gesundheit beeinflusst, dann wäre das gemäss Initiative ganz einfach verboten. Die Initiative möchte in dem Sinne jede Art von Erkenntnisgewinn am Menschen verbieten.
Abgesehen davon muss man es als geradezu grausam bezeichnen, wenn neue und alte Medikamente nicht mehr klinisch untersucht werden dürften. Dies verbaut nicht nur den Weg zu neuen Therapien, sondern verhindert auch die Verfeinerung oder den Verzicht bei bestehende Therapien - Stichwort Smarter Medicine.
Konsequenz: die eingefrorene Menschheit
Die Initiative gegen Tier- und Menschenversuche ist also das ultimative Forschungsverbot. Der Gewinn jeder neuen Erkenntnis in Medizin, Biologie, Psychologie und weiterer Wissenschaften wäre verboten. Unser Kenntnisstand würde per Annahme der Initiative eingefroren.
An die Stelle von Wissenschaft würden beliebige "intuitive" Einschätzungen und Einzelfallerfahrungen treten, die sich jeder selbst zurechtlegen kann oder ganz einfach zufällig sind. Dies ist ein Angriff auf die aufgeklärte, rational denkende Gesellschaft.
Zudem würde die Annahme der Initiative dem freien Markt erlauben, jedwede Art von Produkt einfach auf den Markt zu werfen - denn die Erforschung negativer Konsequenzen für den Menschen wäre ja verboten! So etwas wie die Einschränkung von Tabak oder Pestiziden wäre dann nicht mehr möglich. Damit wäre die Initiative ein gütiger Beihelfer für Hardcore-Kapitalismus ohne Rücksicht auf den Menschen.
Initiative widerspricht sich selbst
Zwar möchte die Initiative gewisse Hintertürchen offenbehalten. So wird im Text mit Begriffen wie "überwiegendem Interesse", "erfolgsversprechend", "kontrolliert", "die Sicherheit [...] muss gewährleistet sein" operiert, damit neue Verfahren zugelassen werden können. Aber realistisch betrachtet sind solche Einschätzungen ohne vorgängige Erforschung schlicht nicht möglich, sprich es gibt keine medizinischen Innovationen mehr.
Noch seltsamer ist, dass die Initiative gewisse bestehende Verfassungsartikel zum Thema Forschung belassen will, z.B. im Bereich "Forschung am Menschen". Offenbar haben die Initianten selbst nicht begriffen, dass auch Forschung ohne körperlichen Eingriff einen Menschenversuch darstellt. Somit stünden zwei vollkommen widersprüchliche Aussagen in der Verfassung.
Kurz: Die Initiative gegen Tier- und Menschenversuche würde uns als Gesellschaft regelrecht lähmen. Nicht nur die Erforschung von Innovationen wäre verboten, auch die potentiellen Gefahren oder Schäden bereits existierender Produkte oder Technologien dürften nicht erforscht werden und müssten somit geduldet werden, sofern sie überhaupt bemerkt werden. Wer das alles nicht will, muss diese Initiative ablehnen.
Seite der Initiative:
https://tierversuchsverbot.ch/init/initiative/