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Qualität statt Corporate Interests bei Krankenkassen-Modellen!

Alternative Versicherungsmodelle der Krankenkassen sind sinnvoll. Einerseits können die Patienten so von tieferen Prämien profitieren. Andererseits führt die Steuerung des Behandlungsprozesses zur besseren Koordination von Behandlungen, sodass weniger doppelte oder sinnlose Leistungen erbracht werden. Der aktuelle Trend zeigt jedoch, dass Krankenkassen zunehmend Verträge mit Firmen statt mit Qualitätskriterien schliessen.

Bild: Adobe Stock
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Es begann mit dem Hausarztmodell

Dass Patienten mit ihren Beschwerden gleich zum Spezialisten oder auf einen Spitalnotfall gehen, verursacht sehr hohe Kosten für verhältnismässig einfach lösbare Probleme. Die ersten alternativen Versicherungsmodelle verpflichteten den Patienten daher, als erstes ihren Hausarzt zu konsultieren.

 

Danach kamen sogenannte HMO(Health Management Organisation)-Modelle dazu, welche zusätzliche Formate an medizinischer Versorgung anboten. Dazu gehören etwa Ärztenetzwerke, Telemdizin-Modelle, in welchen Patienten bei einem Ärzte-Telefon (z.B. Medgate) anrufen müssen, oder Apothekenmodelle, in denen die erste Abklärung in einer Apotheke erfolgt. Zunehmend erscheinen neue Player auf der Bühne, welche neue Möglichkeiten der Versorgung anbieten.

 

Wenn Patienten ein solches Modell wählen, können sie nicht mehr frei entscheiden, zu welchem Arzt sie als erstes gehen können. Sie haben stattdessen eine feste Anlaufstelle und bezahlen dafür eine tiefere Krankenkassenprämie.

Am einfachsten mit einer Firma

Bei diesen neuen Versicherungsmodellen handelt es sich aber immer öfter um Exklusivverträge mit Firmen. Das heisst, die Patienten müssen sich bei Leistungserbringern versorgen lassen, die einer bestimmten Firma angehören oder die Firmen bestimmen im Hintergrund den Versorgungspfad. Hier einige Beispiele:

 

Swica Favorit Santé: Der Patient muss sich an Ärzte und Apotheken der Kette Medbase wenden, welche der Migros gehört. Die Überweisungen laufen über Spezialisten und Therapeuten, mit denen Medbase zusammenarbeitet.

KPTwin.easy: Der Patient muss einen Arzt telefonisch bei Medi24 kontaktieren, die Medikamente müssen beim Versandhändler zur Rose gekauft werden.

Groupe Mutel Versicherungsmodell Apotheke: Der Patient sucht als erstes eine Apotheke auf, diese muss jedoch der Galenicare Gruppe gehören (Amavita, Sunstore oder Coop Vitality).

Assura Betterdoc: Wenn der Hausarzt eine Überweisung an den Spezialiten nötig findet, entscheidet nicht er über den Arzt, sondern die deutsche Firma Betterdoc, welche anhand eines Fragebogens einen Spezialisten auswählt. Dieses Modell möchte Assura ab 2021 anbieten.

Die Probleme von exklusiven Verträgen

Während neue Formen der Versicherung durchaus sinnvoll sein können, so ergeben sich doch sehr grund-sätzliche Probleme bei der Umsetzung:

 

Schlechte Abdeckung

Die Anzahl Zugangsstellen pro Firma sind sehr begrenzt. Dies bedeutet für viele Patienten, dass sie dieses Modell gar nicht wählen können, weil in ihrer Nähe kein Betrieb mit dieser Firmenzugehörigkeit existiert. Interessierte Leistungserbringer können sich den Modellen nicht anschliessen, weil sie nicht der entsprechenden Kette angehören.

Lobbyismus

Verträge zwischen Firmen und Versicherern werden zwischen Verbands- bzw. Firmenspitzen abgeschlossen. Qualität und Umsetzung in der Realität spielen hierfür keine Rolle. Firmen können durch gezielte Werbung und Beziehungspflege ihr Modell an den richtigen Stellen verkaufen. Unabhängige freiberufliche Leistungserbringer können dies nicht, obschon sie die gleiche Leistung anbieten.

Wettbwerbsverzerrung und Mengenausweitung

Exklusive Verträge verschaffen grossen Firmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, während unabhängige freiberufliche Leistungserbringer aussen vorgelassen werden, obschon sie die Leistungskriterien wahrscheinlich genau gleich erfüllen. Firmen, die gegenüber den Krankenkassen mit Vergünstigungen werben, müssen diese Rabatte mit entsprechendem Volumen kompensieren, sodass Mengenausweitung die logische Folge ist.

Keine Messung der Qualität

Medizinische Ergebnisse und die Behandlungsqualität werden nicht gemessen. Die Versicherer gehen davon aus, dass die Versorgung mit dem entsprechenden Modell automatisch billiger wird, insbesondere wenn das Versicherungsmodell auf Rabatten oder anderen Vergünstigungen beruht. Doch ohne genaue Analyse der Fälle und der Patientengruppen ist diese Annahme rein spekulativ. Dass eine junge gesunde Person, die sich telemedizinische beraten lässt, billiger zu versorgen ist als eine betagte chronisch kranke Patientin, die regelmässig zum Arzt muss, ist von vornherein gegeben und nicht ein Verdienst des Versicherungsmodells.

Konsumententäuschung

Meistens wird gegenüber den Versicherten mit den Prämienrabatten und dem Konzept geworben. Die genauen Einschränkungen, die dabei zu befolgen sind, sind hingegen im Kleingedruckten zu finden. So kommt es dazu, das Konsumenten Versicherungen abschliessen, ohne über die entsprechende Verfügbarkeit an Leistungserbringern informiert zu sein.

Versicherungsmodelle müssen "firmenneutral" sein

Statt dass eine Versorgungsform exklusiv zwischen einer Krankenkasse und einer Kette abgeschlossen wird, sollte es sämtlichen Leistungserbringern freistehen, sich um Partnerschaft in diesem Modell zu bewerben. Hierbei sollten klare und transparente Kriterien den fairen und qualitätsorientierten Wettbewerb sicherstellen.

 

Zudem müssten Finanzflüsse oder Abgeltungen, die zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart und nicht in einem nationalen Tarifvertrag geregelt sind, transparent ausgewiesen werden, um finanzielle Interessenskonflikte zu vermeiden.

 

Ausserdem könnten Kriterien festgelegt werden, anhand derer die einzelnen Leistungserbringer (nicht der Mutterkonzern) in ihrer Qualität gemessen werden. Dadurch gäbe es die Möglichkeit, die Qualität an medizinischen Outcomes und der Versorgung eines möglichst breiten Patientenspektrums zu messen. Dies wäre eine ganz frappante Neuerung gegenüber dem heute üblichen System.

 

Beispiele für ein firmenneutrales Modell sind das Favorit Medpharm-Modell von Swica und das Casa Medpharm von Sympany/ÖKK. Dies sind Apothekenmodelle, in welchem Patienten die Wahl zwischen Telemedizin und Abklärung durch einen Apotheker haben. Gestartet von Apotheken der Gruppierung Toppharm, können sich sämtliche Apotheken bewerben, welche die Abklärung mit medizinischen Algorithmen (Netcare) anbieten und deren Apotheker entsprechende Kurse absolviert haben.

Bundesamt für Gesundheit könnte Bedingungen festlegen

Die Vorgaben an alternative Versicherungsmodelle sind in der Verordnung zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung sehr offen formuliert:

Art. 99 Versicherung mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer a. Grundsatz

 

1 Die Versicherer können neben der ordentlichen Krankenpflegeversicherung Versicherungen betreiben, bei denen die Wahl der Leistungserbringer eingeschränkt ist.

2 Bei einer Versicherung mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer kann der Versicherer auf die Erhebung des Selbstbehaltes und der Franchise ganz oder teil-weise verzichten.295

Es wäre für den Bundesrat somit ein Leichtes, die Bedingungen entsprechend zu setzen, damit Modelle mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer qualitätsorientiert, unabhängig von Firmeninteressen und mit fairen Wettbewerbsbedingungen ausgestaltet werden. Hier muss angesetzt werden, um die Interessen kapitalgetriebener Konzerne als medizinische Leistungserbringer zurückzubinden und Qualität zum obersten Kriterium für alternative Versicherungsmodelle zu machen.